Später hat dieses künstliche Oesypum seinen Charakter als
Ersatzmittel des natürlichen verloren und ist zu einem selbstädigen Pflaster geworden, für
welches wir bei Nicolaus Myrepsus unter dem Namen E m p l a s t r u m d e O e s y p o (No. 105) die Vorschrift
Des Paulus wiederfinden.
Jedenfalls ist der Umstand, das man sich beim Oesypum nicht mit den gewöhnlichen Succedanea, wie sie
in der Tabelle des Galen angegeben sind, begnügte, dafür eine besondere Mischung erfand, ein
Beweis dafür, dass entweder derartige Verkehrsstörungen häufiger vorkamen oder dass das
Mittel ausserordentlich häufig gebraucht wurde, wie dies in der That sich nachweisen lässt, oder
für beides zugleich.
Genaues über den Handelsverkehr mit Oesypum in den einzelnen Perioden des Alterthums ist aus den
alten Aerzten nicht ersichtlich. Das Attische Oesypum findet sich in der späteren Zeit nicht mehr besonders
hervorgehoben. Zur Zeit Avicennas scheint nachd dessen Angaben im Orient Armenien die Bezugsquelle des
Mittels gewesen zu sein, über dessen Genisis der Fürst der Aerzte allerdings etwas bedenkliche
Anschauungen äusserte.
Dass es Zeiten und Gegenden gegeben hat, in denen Oesypum nicht Gebraucht wurde, scheint der Umstand
darzuthun, dass keineswegs alle griechischen und arabischen Aertze des Mittels gedenken. Im Mittelalter hat die
Salernitaner Schule in ihren ältesten Arzneibüchern von N i c o l a u s S a l e r n i t a n u s, Magister
S a l e r n u s und B e r n a r d u s P r o v i n c i a l i s das Oesypum nicht. In den deutschen Arzneibüchern
und bei K o n r a d v o n M e n g e n b e r g fehlt es. Von Schriftstellern des späten Mittelalters gedenken
seiner u. a. A r n a l d u s V i l l a n o v a n u s und B a r t h o l o m a e u s Montagnana nicht. Das Oesypum zu
jener Zeit nicht in den Apotheken direct gemacht wurde, sondern von Kräuterhändlern bezogen
wurde, beweist die Stelle im Luminare majus, wo es heisst, dass es von den "herbatici" verfälscht
werde.
Aus der Neuzeit habe ich nur relativ späte Nachrichten über Oesypumbereitung im Grossen
aufgefunden. Die möglicherweise darauf zu beziehende Stelle in dem Commentare des V a l e r i u s
C o r d u s zu der Materia medica des Dioskorides (Ausg. Von 1561, f.31)" (Lanarum) sordida pinguedo adhuc
praeparatur, quam Graeci oisupon vocant" kann auch auf Bereitung in den Apotheken bezogen werden. Dagegen
finden sich aus dem Ende des 17. Und dem Anfange des 18. Jahrhunderts eine grössere Anzahl
verbürgter Nachrichten, dass d a m a l s i n F r a n k r e i c h O e s y p u m p r od u c i r t u n d in
a n d e r e L ä n d e r e x p o r t i r t w u r d e. Ich lasse verschiedene Stellen dieser Art folgen : In der
von Dr. B e ck e r aus Alsfeld in Rheinhessen besorgten lateinischen Ausgabe der historia simplicium reformata
des berühmten Leydener Professors der Botanik Michael Bernhard V a l e n t i n i (Frankf. a. M. 1716)
findet sich S. 32 folgendes über Oesypum:
De ovibus Europaeis et indigenis m a t e r i a l i s t a e v e h u n t Oesypum s. Hysopum humidam, quae nihil
aliud est, quam. adeps s. pinguedo p o s t l o t i o n e m aut coctionem in aqua, aquae innatans despumata, per
pannum trajecta, et parvis doliolis indita. Interdum e Gallia fertur, quam oportet esse recentem, non foetidam
et cinereo albicantem."
In W o y t s Gazophylacium medico pysicum oder Schatzkammer medicinisch-natürlicher Dinge
(12. Aufl. Leipzig, 1744) findet sich die Stelle aus V a l e n t i n i wörtlich ins Deutsche übersetzt
wieder.
Genaueres über diese französische Industrie um 1700 herum geben die beiden grossen französischen
Werke über Drogen, die histoire des drogues von P o m e t (Paris, 1694) und das Dictionnaire universel
des drogues simples von L e m e r y (Paris, 1733). Ich reproducire nur aus dem ersteren die betreffende Stelle
(T. IL p. 33), weil Lemery dasselbe nur mit anderen Worten sagt:
"L'Oesipe que les Latins appellent Oesipus humida est une espèce de Graisse que l'on trouve nageant
sur l'eau, et, qui est adhérante à la laine des Moutons et des Brebis, surtout à celle entre
les cuisses, et de la gorge. Ceux qui lavent les laines, ont soin de ramasser cette graisse et de la passer par une
méchante toile, et de la mettre en suite en petits barils, pour l'envoyer en différents endroits. Le
Berry, la Beausse et la Normandie sont les endroits d où l'on nous envoye le plus de cette marchandise ;
mais le peu d'usage fait qu'il s en debite très peu."
Dafür dass im 16. und. 17. Jahrhundert das Oesypum von den Apothekern nicht allein gereinigt, sondern
auch gesammelt wurde, werden wir weiter unten einen Beweis erbringen. Offenbar hatte Mesuë, als er
seine oben erwähnte neue Bereitungsvorschrift gab, die Absicht, die Bereitung des Oesypum aus den
Haenden der Schaefer in die der Apotheker gelangen zu lassen. Hierzu können zwei Gründe
vorgelegen haben. Einmal der Mangel an hinreichender Oesypumzufuhr, wie er den Aëtius und Paulus von
Aegina bewog, einen ussopos ugros zu componiren, dann aber, weil die von den Hirten gelieferte Waare doch
allzuwenig den Anforderungen entsprach, die
man an ein Mittel dieser Art nach dem Vorgange des Dioskorides
und Plinius zu stellen sich berechtigt hielt. Allerdings ist ja die Dreckapotheke nicht erst von P a u l l i n i
erfunden, sondern von den Alten übernommen, aber eine schlechte, sorglose, unreinliche Darstellung
entzog derartigen Stoffen, wie dem Oesypum die Eigenschaft in Pfastermassen aufgenommen werden zu
können, und konnte insonderheit auch bei der Verwendung zu Pessarien, die recht üblich war,
gradezu putride Infection veranlassen.
Was aber Mensuë auch geleitet haben mag, als er eine Vorschrift gab, die freilich noch viel weniger als
die Vorschriften von Dioskorides und Plinius ein weisses Product liefert, jedenfalls ist im Laufe der
Jahrhunderte eine wesentliche Verschlechterung des Oesypum des Handels eingetreten. Man darf freilich auch
nichtgar zu hohe Begriffe von dem Oesypum der Kaiserzeit haben. Ueber dessen Beschaffenheit kann ich der
Meinung von Vulpius, der sich auch R. v. Grot (Dorpater histor. Studien, Bd. 1 p. 120) angeschlossen hat, dass es
sich um ein Wollfett mit sehr grossen Mengen Wasser gehandelt habe, das daher das Aussehen einer weissen
Emulsion gehabt hatte, nicht beipflichten. Es hatte offenbar nahezu das Aussehen der auf dem Wollwaschwasser
schwimmenden Masse, war also mehr graugelb. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so wäre die
Angabe nicht zu verstehen, dass Oesypum nicht schmelze sondern weiss wie Bleiweiss werden sollte, wenn man
es mit Wasser verreibe. Eine bereits weisse salbenförmige Masse konnte danach nicht vorhanden sein.
Die Anforderungen die man in Bezug auf den Geruch stellte, waren wie oben dargethan wurde, zu verschiedenen
Zeiten different, jedenfalls erhielt manches Oesypum des Handels Reste von Faecalien, die auch auf die Farbe
nicht ohne Einfluss blieben. Bestimmte Kunde von dem Vorhandensein von schlechtem, zur Arzneibereitung sich nicht qualificire dem Oesypum in den Apotheken haben wir erst aus dem 16. Jahrhundert. In den
verschiedenen Ausgaben der Dispensatorien des Valerius Cordus kehrt constant der Satz wieder, "Sed non bene
praeparatus habetur in pharmacopoliis." Wie das Mittel aussah, wird dabei nicht gesagt.
Dagegen wird uns von Pomet und nach ihm von Lemery sehr genau beschrieben, wie der im französischen
Handel am Ende des 17. Jahrhunders vorhandene Oesipe heschaffen war. Ich gebe die Beschreibung mit den
Worten Pomet`s wieder:
" on doit choisir l`Oesipe nouvellement faite d'une consistance moyenne, en ce que plus il vieillit, plus es durci,
et devient par la longueur des temps dur comme du savon bien sec; il faut aussi que son odeur soit supportable
p a r c e q u' i l y e n a q u i p u t s i f o r t, qu'il est i m p o s s i b l e d'e n a p p r o c h e r; que sa couleur soit
d'un gris souris, et finalement qu'il soit le moins r e m p l i d e s a ll e t e z, que faite se pourra."
Pomet führt freilich noch an, dass so stinkend die Waare auch sein mag, sie doch nach sehr langer
Aufbewahrung ihren abscheulichen Geruch verliert und einen ziemlich angenehmen Geruch bekomme, der an
Ambra grisea erinnere. Immerhin aber ist diese Beschreibung sehr geeignet, um die von Liebreich
ausgesprochene Ansicht zu rechtfertigen, dass die schlechter gewordene Beschaffenheit des Oesypum die
Ursache war, dass man das Oesypum aus der Therapie verbannte, was um so leichter geschehen konnte, als
es ja damals nur noch zu wenigen galenischen Praeparaten benutzt wurde.
Für das Verschwinden aus den deutschen Apotheken und Arzneibüchern hat aber bestimmt noch ein
zweiter Umstand beigetragen,nämlich die d i r e c t e A u f f o r d e r u n g z u r E n t f e r n u n g
d e s ü b e r f l ü s s i g e n P r a e p a r a t e s w e g e n d e r g r o s s e n M ü h e, d i e
d e r e n B e r e i t u n g d e n A p o t h e k e n m a c h e, der, wie aus dem unten zu gebenden Texte dieser
Aufforderung hervorgeht, das Oesypum nicht allein reinigen, sondern auch sammeln musste. Ich gebe diese
Aufforderung in deutscher Uebersetzung:
"Wenn ich die Sammlung oder Zubereitung des Oesypum näher betrachte, so kann ich mich nicht genug
wundern, dass man so übelriechenden und schmutzigen Thierschweiss dergestalt als Handelsmittel
ausbeutet, als ob nicht tausende von Mitteln, z. B. die Fett- und Schmalzarten gegen die nämlichen Leiden
benutzt werden können wie Oesypus, gleich an Wirksamkeit und gleichbewährt, auch zu
mässigerem Preise und mit viel geringer Mühe und überall in grösserer Menge zu
haben. Ich gestehe offen, dass ich lieber eine Unze dieser Oesypus für einen Ducaten kaufen, als sie selbst
sammeln will; denn wie gross die Herde der Schafe, wie gewaltig die Arbeit ist, wie grosse Kosten erforderlich
sind, um diesen Schmutz zusammenzukratzen (ad hanc spurcitiem corrodendam) und welchen unangenehmen und
ungesunden Gestank man bei der Bereitung auszuhalten genöthigt ist, das weiss nur der, welcher Oesypus
gesammelt und bereitet hat. Daher möchte ich glauben, dass man diese unnützen Excremente, jetzt
wo ein solcher Reichthum an sonstigen Galenischen und Chymischen Mitteln besteht recht wohl aus den
Apotheken verbannen kann. Zudem halte ich es für vernünftiger, wenn
Wolle applicirt werden muss, jene erst durch Auswaschen von jenem Unflath (spurcities) zu befreien und
gründlich zu reinigen, als sie so übelriechend und mit Schweiss oder wer weiss was sonst für
Unflath besudelt am Körper anzuwenden."
Diese Aufforderung konnte nicht ohne Wirkung bleiben, denn sie ging von einem hochangesehenen Arzte aus,
der von der Pharmacie viel mehr verstand, wie seine meisten Collegen, weil er sie selbst practisch lange Zeit
ausgeübt hatte. Der Autor ist Dr. J oh a n n e s Z w e l f e r, der nach 16jähriger Ausübung der
Pharmacie und längerem Studium der Chemie zur Medicin überging und als Arzt in Wien 1652 seine
Ausgabe der reformirten Ausburger Pharmacopoe mit Anmerkungen begleitete, welche Front gegen alle überflüssige
Mittel, wie Mumia u. a. machte. Die Stelle, in der er das Oesypum bekämpft und welche bestimmt nicht
ohne Einfluss auf dessen Verschwinden blieb, findet sich auf S. 727 der oudaer Ausgabe.
Dass übrigens schon lange vor Zwelfer einzelne Pharmakologen das Oesypum für entbehrlich
gehalten, zeigt das Fehlen in den dem 16. Jahrhundert angehörigen französischen Dispensatorien von
R o n d e l e t und J o u b e r t. Indessen blieb das Mittel gerade in Frankreich, wenn es auch aus den
zusammengesetzten Arzneivorschriften verschwand, doch noch zum Privatgebrauche in den Apotheken. Die
Auflage des Codex medicamentarius Parisiensis von 1758 enthält zwar keine mit Oesypum bereitete
Pfaster mehr aber in ihrem Verzeichnisse der Simplicia figurirt noch immer : "O e s i p u s. L a g r a i s s e
d e l a l a i n e g r a s s e." Sehr frühzeitig hat der Gebrauch in den Niederlanden aufgehört,
da Oesypum in fast allen Pharmacopöen dieses Landes z. B. in der Pharmacopoea Amstelredamensis (1636),
Hagiensis (1659), Ultrajectina (1664) und Almetiana (1723) fehlt ; auch P r i m r o s e s Ars pharmaceutica
(Amsterdam, 1651) hat es nicht. Dagegen kommen in der Pharmacopoea Brusellensis (1641) Ceratum Oesypi
und oesypumhaltiges Empl. Diachylon cum gummis vor.