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ZUR VORGESCHICHTE DES LANOLINS
von Prof. Dr Th. HUSEMANN in GÖTTINGEN.
(3. Fortsetzung.)
Die Darstellung des Oesypum, seine Verfälschungen und Surrogate.

Wie ein rother Faden zieht sich durch die ganze bisherige historische Auffassung des Oesypum, dass es nur ein Verfahren gebe, das Verfahren des Dioskorides, nach welchem bis in die Zeit, wo das Oesypum aus den Apotheken verschwindet,die Darstellung des Products geschehen sei. Diese Ansicht ist irrig.Wenn wir die für die Bereitungsweise des Mittels in Betracht kommenden wesentlichsten Schriften durchmustern, so werden wir finden, dass im Laufe der Zeit wesentliche Modificationen des ursprünglichen Verfahrens (Verbesserungen dürfen wir allerdings nicht sagen) eingetreten sind, die auch ein in seiner äusseren Form abweichendes Product liefern mussten. Uebrigens muss auch hervorgehoben worden, dass aus der Mittheilung des Dioskorides deutlich hervorgeht, dass schon zu seiner Zeit sein Verfahren nicht ausschliesslich benutz wurde.

Die Darstellung des Oesypum hat bereits Wufsberg a. a. O. mitgetheilt, auch Vulpius gibt sie nach dem Commentar des M a t t h i o l u s mit dessen Zusätzen. Ich kann eine Wiederholung nicht umgehen, weil die späteren Modificationen ohne die Originalschrift kaum zu verstehen wären. Der folgende Uebersetzung liegt der griechische Text der Sprengelīschen Disokoridesausgabe zu Grunde: Oisupos heisst das aus der schmutzigen Wolle (oisuphrvn eriwn) zu gewinnende Fett. Man bereitet es folgendermassen. Nimm weiche schmutzige Wolle und wasche sie mit warmem Wasser ohne Anwendung von Seifenwurzel aus, drücke zugleich allen Schmutz (pasan ruparian )heraus und schütte diesen in einen Mischkessel mit weiter Oeffnung, giesse Wasser darauf und schöpfe es wieder aus mit einem Löffel, kräftig rührend, oder rühre es kräftig mit einem Holze um, bis sich reichlich Schaum und Schmutz gesammelt hat, dann bespritze mit Meerwasser, und wenn das obenaufschwimmende Fett sich abgesetzt hat,so nimm es wieder in ein anderes thönernes Gefäss auf, und Wasser in den Mischkessel schüttend, rühre aufs neue und schütte aufs neue Meerwasser auf den Schaum und verfahre so, bis sich nach Erschöpfung des Fettes kein Schaum mehr bildet. Das gesammelte Oesypum knete mit der Hand und entferne sofort jede Unreinigkeit, das erst Wasser auspressend und anderes hinzufügend, und mit der Hand bewegend, bis es, auf die Zunge gebracht, nicht mehr beisst, sondern etwas zusammenzieht und fettig (liparos),rein und weiss erscheint. So bringe es in ein irdenes Gefäss. Alles aber geschehe bei Sonnenhitze en hliw qermv. Einige aber spülen das Fett nach der Abscheidung mit kaltem Wasser und kneten es mit den Händen wie die Frauen ihre Pomade (khrwth), wodurch es weisser wird. Andere kochen, nachdem die die Wolle ausgewaschen und den Schmutz ausgepresst haben, mit Wasser in einem Kessel auf mässigem Feuer,nehmen das obenauf befindliche Fett weg und spülen es mit Wasser aus, wie oben gesagt wurde, und nachdem sie es in eine irdene Schüssel, die warmes Wasser enthält, durchgeseiht haben, hüllen,sie es in einen Leinenlappen ein und setzen es in die Sonne, bis es hinreichend fest und weiss geworden ist. Einige aber giessen das erst Wasser nach zwei Tagen ab und geben anderes hinzu. Das beste Oesypum ist aber das ohne Beihülfe von Seifenwurzel gewonnene weiche (leion),das mit kaltem Wasser in einer Muschel verrieben weiss wird und nichts Hartes oder Compactes enthält, wie das mit Cerat oder Talg (stear)verfälschte."

Zunächst dem Dioskorides oder möglicherweise gleichzeitig mit ihm beschrieb Plinius der Aeltere in seiner Naturgeschichte (lib. 29 c. 2) die Darstellung. Auch er gibt an, dass es mehrere Verfahren gebe, doch liefere das folgende Verfahren das beste Oesypum. "Man nimmt von den Schenkeln und Achseln der Schafe die frische Wolle oder überhaupt allen frischen Wollschmutz und erwärmt bei schwachem Feuer in einem ehernen Kessel (mit Wasser) und sammelt nach Erkalten das oben schwimmende Fett in einem Thongefässe ; dann kocht man die erste Masse noch einmal. Hierauf wirddas bei diesem Prozesse gewonnene Fett in kaltem Wasser gewaschen, mit Leinwand getrocknet und so lange an der Sonne gedörrt, bis es weiss und durchsichtig wird."

Valpius hat in seiner Uebersetzung "durch ein leinenes Tuch geseiht," was einer schon in der Leydener Ausgabe von 1668 gemachten Conjectur, statt "siccatur in linteo" saccatur zu lesen, entspricht. Die ganze Vorschrift, die wir als Plinische bezeichnnen können, entspricht aber so sehr der zweiten Vorschrift des Dioskorides, dass man, selbst wenn es möglich wäre, das bei dieser Procedur gewonnene feste oder halbfeste Product zu coliren, doch an dem Einschlagen in Leinen bei Dioskorides (linw rakei peripwmasantes) festhalten mussten. Es kann sich höchstens um Abtropfen lassen lose anhaftenden Wassers handeln. Abweichend bei Plinius ist die Aufbewahrungsweise in "zinnernen Gefässen." Auch die Prüfungsmethode ist etwas modificirt; das Oesypum soll in der Hand mit Wasser verrieben, nicht flüssig, sondern weiss wie Bleiweiss werden ("albescat ut cerussa"). Das Seewasser spielt bei Plinius keine Rolle.

In der Reihe der griechischen Autoren, die Bereitungsvorschriften geben, folgt zunächst im 6. Jahrhundert Aëtios von Adida (Tetrabibl. lib. 1 serm. 2 c. 120), dann schon hoch im Mittelalter im 13. Jahrhundert Nicolaus Myrepsos (Uebersetzung von Leonard Fuchs. Basil. 1548. p. 280, 281). Beide reproduciren die Methode von Dioskorides, Aëtios unter Hinweis auf seine Quelle. Die Abweichungen sind meist unbedeutend. Aëtios lässt statt des Schöpflöffels einen Becher oder etwas Aehnliches (potirion h eteronti) nehmen und bei dem Herabgiessen von Meerwasser hat Myrepsos vorsichtig hinzugefügt : "Si non adsit, frigidam aquam insperge." Die wesentliche; Abweichung besteht darin, dass das Bleichen an der Sonne nach Art des Plinianischen Verfahrens den Schluss der Darstellung bildet, so dass also eine Comibination der Darstellungsweise des Dioskorides und Plinius vorliegt: "Setze es in einem Gefässe von Thon der Sonne einige Tage aus und bewahre es auf, und alles Vorhergesagte thue in der Sonne des Sommers (en hliw qerinv statt des bei Dioskorides sich findenden qermv). In dem auf die Verfälschung befindlichen Passus steht bei den Autoren xumh statt stear, wonach diese beide Autoren das Wort des Dioskorides in der Bedeutung "Teig" oder "Sauerteig"" aufgefasst haben, die es bei Theophrastus u. A. hat.

Da ja für die arabischen Schriftsteller häufig Dioskorides der Quell ihres Wissens ist, so kann es uns nicht wundern, das sich bei Serapion den jüngeren (Ende des 11 Jahrhunderts) im Buche de simplicibus das auf das Oesypum bezügliche Kapitel mit einigen Weglassungen und Zusätzen wider findet. Erwähnt wird bei Serapion (Lyon Ausg. 1525 de Simplicibus c. 452 de isopo humida. Fol. 197 a.) die von Dioskorides verworfene Behandlung der Schafwolle mit Seifenwurzel nicht, vermutlich weil dies Verfahren der Wollwäsche zur Zeit und am Wohnsitze des Autors nicht üblich war. Das Aufgiessen des Wassers soll "ab alto cum impetu" geschehen, damit reichlichere Schaumbildung eintrete. Die Geschmacksprobe, wonach das fertige Product nicht beissende Empfindung auf der Zunge erzeugen soll, fehlt. Die Isopus soll nicht nach "astaros" riechen, wohl aber nach Schafwolle ("melior ex isopo est illa, quae non habet odorem a s t a r o s et est mollis cum tangitur, sine asperitate, habens odorem lanae succide.") Ein Fortschritt ist in dieserVorschrift gegenüber der Angabe des Plinius, wonach Oesypus Nach Wollschmutz ("ut sordium virus oleat) riechen soll. Was aber astaros sei, gestehe ich ein, nicht zu wissen. Matthaeus Sylvaticus sagt, dass es griechisch sei und unreines Wollfett bedeute. Mir ist es nicht gelungen, das Wort in alt und neugriechischen Wörterbüchern aufzufinden. Ich vermute, dass es sich um ein arabisches möglicherweise auch hebräisches Wort handelt, das Mist oder Schafmist bedeutet.

Nach grössere Auforderungen in Bezug auf den guten Geruch des "Hyssopum humidum", wie das Praeparat in der lateinischen Ausgabe heisst, stellt der Verfasser das unter dem Namen "Liber servitoris" bekannten Apothekerbuchs, als welcher früher vielfach Abulkasem († 1106) angesehen wurde. Denn in dem längeren Kapitel, in dem er die Bereitungsvorschrift des Dioskorides wieder auffrischt, wird für gute Waare die Forderung aufgestellt, dass sie nicht nach Wolle rieche ("quando non habet odorem lanae") Bezüglich der Verfälschung wird nicht Teig, wie bei Aëtios und Myrepsos, sondern mit Oel und Talg verflussigtes Wachs angegeben. Einen Wendepunkt in der Darstelluug des Oesypum bildet das bekanntlich im Mittelalter vom 2. Jahrhundert an als Kanon der Apothekerskunst gültige Buch von Mesuë jün. Grabbaddin mediceminum compositorium. Hier erscheinte in neues Verfahren, das eine wesentliche Vereinfachung der Vorschriften des klassischen Alterthums gibt. Die Vorschrift lautet in wörtlicher Uebersetzung : "Nimm etwa 60 Pfund darüber hinreichende Maengen warmen Quellwassers, um sie darin 8 Stunden zu maceriren, dann koche einmal auf, drücke das Wasser der Wolle aus und seihe das Wasser durch. Darauf koche es gelinde in einem Gefässe von Zinn unter stetem Umrühren mit einem grossen Holze, so dass jedes anbrennen vermieden wird, und es koche so lange, bis es wie Honig fliesst, und so bewahre es auf." Dieses Verfahren des Mesuë ist dann in den späteren Zeiten des Mittelalters, in denen ja die arabische Medicin die altgriechische verdrängte, auch in Europa die allgemein herrschende geworden. Der Mesuë fand sich in den meisten Apotheken, und wo er etwa fehlte, ersetzte ihn das Dispensarium Magistri Nicolai Praepositi, das, wie ich schon bemerkte, die Vorschrift Mesuë wiederholte. Natürlich findet sie sich auch in dem gewissermassen nur als Commentar des Mesuë anzusehenden Liminare majus des Johannes Jacobus manilus de Bosco (Lugduni 1528) als zu befolgende Vorschrift, in der ältesten Ausgabe (Venetiis 1499) ganz ausschliesslich ohne Hinweis auf das Bestehen älterer Vorschriften von Dioskorides und Plinius, obschon andere Stellen aus den auf Oesypum bezüglichen Artikeln dieser Autoren citirt werden. In der späteren Bearbeitung des Luminare majus von Nicolaus Mutonius aus Mailand (Venetiis 1561) wird dagegen von dem Herausgeber fol. 16 a. die Verschiedenheit der Vorschrift des Mesuë und des Dioskorides durch folgenden "Appendix"zu dem Commentar des Manlius ausdrücklich hervorgehoben: Oesypum qua arte parandum, Dioskorides elegantisseme docet, cujus placita Aëtios quoque non obscure perstiringit, a Mesuë sane longe diversa."

Diese Ausgabe stammt aber aus der Zeit, wo man, wie das bei Dioskorides vorgefundene Wort oisupos natürlich auch die Dioskoridische Bereitungsweise wieder ausgrub und für allein berechtigt erklärte. Schon Vulpius hat hervorgehoben, dass die Kölnische Pharmacopoe von 1565 die Vorschrift, wenn auch nicht wörtlich,doch genau dem Sinne nach reproducirt. Gegenüber den bisher erwähnten Bereitungsvorschriften findet sich in dem Dispensarium Coloniense als neu die Angabe, dass das Wolfett nicht von Schafen, die mit der Räude behaftet sind, genommen werden soll. Eine eigene Erfindung der Verfasser des Buches ist dies aber nicht, denn schon in dem Werke des berühmten Pariser Arztes Jacobus Sylvius (1478-1555) de medicamentorum simplicium delectu praeparationibus, mistionis niodi libri III das zuerst 1542 in Lyon erschien, findet sich in dem Abschnitte über die Arzneimittel aus dem Thierreiche der Satz : Oesypus id es succidarum lanarum piguitude, servetur purus, ex ovibus integris, non scabiosis, der wie vieles andere aus Sylvius, in die erste Kölner Pharmakopoe übergangen ist. Die Dioskoridische Vorschrift ist aber nicht von Sylvius übernommen. Man kann diese bei dem Herausgaber des Mesuë auch wohl kaum erwarten. In seinem Commentare zum Mesuë findet Sylvius zwischen beiden Bereitungsmethoden keinen erheblichen Unterschied. Ausser der Angabe über das Vermeiden räudekranker Schafe hat das Kölnische Dispensatorium noch als neu den auf die Aufbewahrung bezüglichen Satz : "Tum in fictili vase denso et bene cocto reonditur et in cella locovo frigido reponitur." Dagegen fehlt der Hinweis auf Verfälschungen. Von mittelalterlichen Schriftstellern, welche die Vorschrift von Mensuë dem Jüngeren reproduciren, möchte ich noch Heinrich von Mondeville nennen, um den Beweis zu liefern, dass sie nicht bloss bei Pharmaceuten, sondern auch bei Aerzten und Chirurgen Aufnahme gefunden hat. In seinem Antidotarius Cap. 3 beschreibt er die Darstellung der "Isopus humida," das "weder eine eigentliche Salbe, noch ein Pflaster, sondern ein Mittelding" sei, welche "wie ein Unguent auflösend und erweichend wirke" und der "unguenta resolutiva et emplastra et alia medicamina resolutiva" bereitet werden könnten, nach der Mesuë'schen Vorschrift (vgl. die Ausgabe von P a g e l , S. 526).

Der Erste, der die Dioscoridische Vorschrift wieder ausgrub, war Valerius Cordus . Es geschah dies, wie Herr H. Peters in Nürnberg auf meine Bitte zu constatiren die Güte hatte, schon in der ersten bei Johannes Petrejus ohne Angabe der Jahreszahl erschienenen, im Jahre 1546 herausgekommenen Ausgabe seines Dispensatorium. Die in meinem Besitze befindlichen beiden Ausgaben von Venedig (1570 ex officina Valgrisiana) und Antwerpen (1680, von C o u d e n b e r g besorgt) reproduciren den in der Editio princeps enthaltenen Artikel wörtlich. Dieser selbst gibt im Wesentlichen den Inhalt des Capitels der Dioscoridischen Materia medica, nur dass natürlich das Meerwasser, das in Süddeutschland nicht zu beschaffen war, fortblieb.

Wort wörtlich nur mit der Umwandlung der Imperative "infunde: "lava" in die höflichere Conjunctivform "infundatur', "lavetur" u.s. w. stimmt dabei der Artikel der Augsbuger Pharmakopoën des 17. Jahrhunderts überein. In den fünf von Occo III besorgten Ausgaben des 16. Jahrhunderts findet sich keine Bereitungsvorschrift für Wollfett. V u l p i u s hat eine Uebersetzung des Artikels aus der Ausgabe von 1694 mitgetheilt, dessen Inhalt wörtlich mit dem zuerst in der 7. Auflage Von 1640 befindlichen und auch in die, wie wir spä ter sehen werden, für die Geschichte des Oesypum sehr wichtige "Pharmacopoea Augustana reformata et ejus mantissa, cum animadversionibus I. Zwelferi (Viennae, 1652. Goudae, 1653)" übernommenen entspricht. In der Vorschrift ist neu das zu der Charakterisirung der zur Bereitung des Wollfettes zu benutzenden Wolltraeger benutze Wort "defatigataram" offenbar um den Ertrag von Oesypum im Interesse des das Einheimsen des Wollschweisses besorgenden Apothekers zu steigern, sollen die Schafe müde getrieben werden.

Die am Schlusse des Artikels enthaltene Bemerkung, dass die Bereitung von Oesypum den Apothekern viel Mühe mache und daher von ihnen das Mark von Kalbsknochen substituirt worden solle, fasst Vulpius als eine Verfälschung auf. Ich möchte dies jedoch nicht in eine Reihe mit den Verfälschungen setzen, die wir schon in den ersten Zeiten der Oesypumliteratur angeführt finden und welche von Manlius de Bosco den Kräuterhändler in die Schuhe geschoben werden : "Est aldulteratum cum cera aut sebo dissoluto cum oleo ut faciunt multi herbatici maligni." Die Abgabe von Medulla vitulina an Stelle von Oesypum steht offenbar im Zusammenhange mit der hergebrachten, schon von sehr alten Autoren gebilligten Unsitte, an Stelle der in den Apotheken fehlenden Dinge andere gleichwirkende Mittel nach gewissen, als Quid pro quo bezeichneten Verzeichnissen, zu verabreichen. Nun wird aber so wohl in dem Galenus als in dem Paulus von Aegina zugeschriebenen, als in den in verschiedenen Ausgaben des Dispensatorium Valerii Cordi enthaltenen Verzeichnissen der Succedanae zum Ersatze des Oesypum, constant Medulla cervina angegeben. Statt Medulla cervina trat aller die leichter zu beschaffeude Medulla vitulina, die somit nicht eigentlich eine Verfälschung genannt werden kann. Ja, in der Augsburger Pharmakopoe von 1710 wird Kalbsmark geradezu als Succedaneum, d. h. als legitimes Ersatz mittel des Oesypum hingestellt (Einleitung C. 7) und auf S. 254 wird es dem Apotheker zur Pflicht gemacht, entweder gut zubereitetes Oesypum zu führen oder statt dessen Medulla vitulina zu verabreichen ("quem est recte praeparatum habeant pharmaetepoei operam dare debent autsaltem Medullam vitulinam substiuant"). In der Taxe zu dieser Pharmacopoe fehlt ganz, während Medulla vitulina mit 4 Kreuzern (Hirschmark mit 6, Hühnerfett mit 16, Reiherfett mit 12, Menschenfett mit 8 x r und Vipernfett mit 1 fl. 30 x r) für die halbe Unze aufgesetzt.

Die schon bei Vulpius erwähnte, im 17. Jahrhundert ausserordentlich verbreitete umfangreiche Pharmacopoea medico-chymica des Frankfurter Stadtarztes Johann Schroeder (Ulm 1641) und ebenso die in Frankfurt 1656 erschienene Pharmacia simplicium et compositorum bipartita des Herforder Arztes Theodorus Corbejus bringen ebenfalls die Dioscoridische Vorschrift, aber ohne den Status der Schafe zu berücksichtigen. Da die Ausgaben der Schroederschen Pharmacopoe bis in das 18. Jahrhundert hinreicht, so ist nicht zu verwundern, weil man sich in jener Zeit schwer vom Hergebrachten und durch den Drucke scheinbar monumental Gewordenen trennte, dass das überOesypum Mitgetheilte sich auch in den spätesten Ausgaben findet.Ich constantire es z. B. in der 1746-1748 in Nürnberg erschienenen Deutschen Ausgaben (Dr. Johann Schroeder`s Pharmacopoea universalis d.i. Allgemeiner medicinischer Arzneischatz), wo in Th. III auf S. 656b im Anschlusse an den Satz: Oesypus, das Fett von der schmutzigen Schafwolle, insgemein Isopus humida, genannt, wird also bereitet, doch sollen die Schafe nicht räudig sein", die Vorschrift des Dioskorides sich wieder findet. Es handelt sich hier allerdings nur um eine Vorschrift auf dem Papiere, denn da sie in Deutschland nicht mehr ausgeführt wurde, kann keinem Zweifel unterliegen. Denn es findet sich in keiner staatlichen Pharmacopoe dieser Zeit. Dass Oesypum damals nicht mehr in den Apotheken war und wenn es einmal gefordert werden sollte, statt seiner, nach dem Vorgang der Augustana, Kalbsmark abgegeben wurde, erhellt aus den in Th. II neben einander gestellten Arzneitaxen von Augsburg, Brandenburg, Frankfurt, Leipzig, Prag, Ulm, Wien und Würtemberg, von denen keine einen Ersatz für Oesypum enthält. Die das Mittel enthaltenden ältere Arzneivorschriften (s. weiter unten) waren an Deutschen Pharmakopoeën damals sämmtlich entfernt worden.

Werden wir den Blick auf ältere ausserdeutsche Pharmakopoeën, so hat schon E. v. Grot hervorgehoben, dass Oesypum in das Florentiner Receptbuch von 1550 übergegangen sei. Wenigstens finde ich eine solche in der Ausgabe des Ricettario utilissimo, die 1565 bei Vincenzo Vulgrisi gedruckt ist, und in der Antwerpener lateinischen Uebersetzung (Antidotarium bei Plantinus, 1561).


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